Foto: Anna Nestrenko

Ohne Arbeit fühle ich mich wie lebendig begraben

2. Portrait von Eva-Lena Lörzer

Ezzat Mardini war fünf Jahre Schwimmtrainer der syrischen Nationalmannschaft. Seine beiden ältesten Töchter schwammen für die Jugendnationalmannschaft. Nach dem Beginn der Unruhen 2011 ging er als Trainer nach Jordanien. Für seine Töchter aber gab es dort keine berufliche Perspektive. Ende 2015 floh die Familie nach Deutschland.

Ezzat Mardini hat es eilig. Es ist ein Donnerstagnachmittag, 14 Uhr, und das Training in der Schwimmhalle ist bereits mitten im Gange. Bademeister und Trainer René Moegelin, der im FEZ von allen nur Charly genannt wird, steht am Rande des Wasserbassins und gibt den Auszubildenden Anweisungen. Unterdessen findet der allgemeine Badebetrieb statt: Ein paar Jugendliche ziehen ihre Bahnen, eine Mutter isst mit ihrem Sohn an einem Tisch eine Currywurst. Ezzat Mardini hatte einen Termin beim Jobcenter und überlegt nun, ob es sich noch lohnt, sich umzuziehen. In einer halben Stunde bereits beginnt die interne Weihnachtsfeier von „Rettung in Sicht".

Er wirkt angespannt. „Ich kann mich nicht beschweren: Das Training hier macht Spaß und ich habe eine Wohnung“, sagt er, während er sich an einen Tisch setzt und auf die anderen wartet. Nach einer kurzen Pause fügt er hinzu: „Aber gut geht es mir erst, wenn ich wieder arbeiten kann.“  In Syrien war Ezzat Mardini nach einer Karriere als Profischwimmer fünf Jahre lang Schwimmtrainer der Nationalmannschaft. Auch seine beiden ältesten Töchter, Sarah und Yusra, hat er trainiert, seit die beiden vier Jahre alt waren. Mit großem Erfolg: Beide schwammen in Syrien in der Jugendnationalmannschaft, ehe sie im August 2015 die Flucht ergriffen.

Die Geschichte seiner Töchter ging um die Welt: Als der Außenbordmotor ihres Schlauchbootes versagte, sprangen die beiden ins Wasser und zogen das Boot vom türkischen Izmir über die Ägäis bis zur griechischen Insel Lesbos. In Europa anzukommen fiel ihnen leicht: Yusra begann bei den Wasserfreunden Spandau zu trainieren und schwamm im Sommer 2016 als Teil des Refugee-Teams bei den Olympischen Spielen mit, Sarah arbeitet als Rettungsschwimmerin in Griechenland und rettet weiter Geflüchteten das Leben.

Ezzat Mardini ist stolz auf die zwei. Dass sie sich so verwirklichen können, freut ihn. Er hat den beiden immer die größte mögliche Freiheit gelassen. „In Syrien war das nicht immer einfach. Viele haben das nicht verstanden“, sagt er. „Aber was Andere sagen, war mir schon immer egal. Ich habe schon immer auf meinen Bauch gehört.“ Auch seine eigene Berufswahl war eine Bauchentscheidung.  „Als ich sieben Jahre alt war, kam ein Trainer an meine Schule in Damaskus und hat gefragt, wer gerne schwimmen lernen möchte. Da habe ich mich spontan gemeldet. 600 Kinder wurden für ein Probetraining ausgewählt, die besten wurden weiter trainiert. Ich und mein Bruder gehörten dazu.“

Über sieben Jahre lang trainierte er an drei Nachmittagen in der Woche, an den Vormittagen drückte er die Schulbank. Mit sechzehn kam er in die Jugendnationalmannschaft, nach dem Abitur wurde seine Karriere vom Militär unterbrochen. Nach seiner Entlassung drängte ihn seine Mutter, schnellstmöglich zu heiraten. Er hörte auf sie: „Ich habe eine Frau beim Fußball spielen beobachtet und mochte sie sofort. Da habe ich am Spielfeldrand nach ihren Eltern gesucht und gebeten, sie kennenlernen zu dürfen. Nur wenige Wochen später haben wir geheiratet.“

Nach der Hochzeit hängte er seine Schwimmlaufbahn an den Nagel und wurde Trainer. Er trainierte vier lokale Vereine, bis er 2009 als Nationaltrainer berufen wurde. Seine Frau und er bekamen drei Töchter, die Dinge liefen gut. Bis der Bürgerkrieg Ende 2011 im Stadtviertel der Familie in Damaskus ankam. Darüber zu reden fällt ihm schwer. Er ist kein politischer Mensch: „Ich hatte neben meiner Arbeit nie Zeit, über Politik nachzudenken. Das habe ich anderen überlassen.“ Um seinen Töchtern ein sicheres Leben zu ermöglichen, ging Ezzat Mardini Mitte 2011 nach Jordanien und nahm eine Stelle als Trainer an. Seine Töchter aber wollten nicht mit und blieben mit ihrer Mutter und der jüngeren Schwester in Damaskus. Im Nachbarland hätten sie keine Aufenthaltserlaubnis bekommen und wären aus allen Wettkämpfen ausgeschieden.

Als sich die Situation 2015 verschärfte, beschloss die Familie, nach Deutschland zu fliehen. Die ältesten Töchter machten den Anfang, Ezzat Mardini folgte ihnen gemeinsam mit seiner in der Zwischenzeit geschiedenen Frau und der Jüngsten. „Hier sehe ich sie alle selten“, sagt er. „Ich wohne alleine.“ Nach einer kurzen Pause fügt er hinzu: „Ich bin alleine. Hier in Europa leben alle auf sich gestellt. In den arabischen Ländern kommt die Familie einmal in der Woche zusammen und auch  auf der Straße kommen die Menschen die ganze Zeit ins Gespräch miteinander.“ Er seufzt: „Hier habe ich keine Ahnung was ich tun kann, um andere Menschen kennenzulernen.“

Die anderen Ausbildungsteilnehmer haben fertig trainiert und kommen an den Tisch.  Bademeister und Trainer Charly bestellt Kaffee und Kuchen und drängt, alle Gespräche zu beenden: Er möchte eine Weihnachtsansprache halten. Ezzat Mardini ist nicht nach Weihnachten zumute. „Ich wünsche mir nur, wieder Arbeit zu haben“, sagt er und fügt nach einer kurzen Pause hinzu: „Ich kann nicht mehr lange warten. Ich habe mein ganzes Leben gearbeitet. Ohne Arbeit fühle ich mich wie lebendig begraben.“ Er lächelt: „Man kann mich auch gerne erst einmal testen. Ich bin wirklich qualifiziert und lerne auch gerne noch dazu. Ich mache auch alles, Hauptsache, es hat mit Sport zu tun.“