Erst müssen die Kinder versorgt sein

4. Portrait von Eva-Lena Lörzer

Ahmad Hasan hat in Syrien als Rettungsschwimmer gearbeitet. Als das Leben dort zu unsicher wurde, brachte er zunächst seine Kinder und seine Frau in Sicherheit in die Türkei und floh anschließend selbst nach Deutschland. Hier sind die sechs nach einer langen Wartezeit endlich wieder vereint.  

Ahmad Hasan sitzt neben Hussein Maher im Unterrichtsraum der neu gegründeten Sprachschule Sonnenschein im FEZ Berlin. Gerade ist Unterrichtspause: Die Sozialpädagogin und der Dolmetscher des Projektes „Rettung in Sicht“ versuchen, die Zeit zu nutzen, sich um ein Problem eines Teilnehmers zu kümmern: Die Formularblätter, die er nach einem Umzug neu ausfüllen muss, um eine Fortzahlung seiner Jobcenter-Leistungen zu erreichen, verteilen sich über drei Tische.

Ahmad Hasan und Hussein Maher haben sich während der gemeinsamen Ausbildung angefreundet. Die beiden syrischen Kurden können sich vorstellen, sich nach Abschluss ihrer Ausbildung in wenigen Wochen eine Stelle zu teilen. Charly, wie der Trainer des Ausbildungsprojektes von allen nur genannt wird, hat beide gefragt, ob sie sich eine Beschäftigung beim FEZ vorstellen könnten. Während sie noch am Deutschkurs teilnehmen, aber kommt eine Vollzeitbeschäftigung für beide nicht in Frage.

Während sie reden, sieht Ahmed immer wieder auf sein Handy: Seine Frau ist alleine mit den gemeinsamen Kindern zuhause; er macht sich Gedanken. Stolz zeigt er Handyfotos von ihr und den Kindern. Der 29-Jährige und seine gleich alte Frau haben drei Jungs und ein Mädchen, alle im Schulalter: „Wobei das geistige Alter unserer Tochter nicht ihrem physischen entspricht – sie war durch einen Berechnungsfehler der Ärzte mehrere Wochen über ihren Geburtstermin hinaus und wurde im Mutterleib nicht mehr ausreichend von der Plazenta versorgt", erzählt er.

Kennengelernt hat Ahmad Hasan seine Frau 2009 in seiner Heimatstadt Qamischli nahe der türkischen Grenze: „Wir waren beide 21. Ich hatte Handel studiert und als Rettungsschwimmer gearbeitet, konnte aber vom Schwimmen nicht leben. Gerade hatte ich eine sehr gute Arbeit in Saudi-Arabien gefunden. Da habe ich sie gesehen. Sie stand in der Visumsbehörde genau vor mir. Ich habe sie nicht angesprochen, aber es war Liebe auf den ersten Blick. Ich habe mir die Telefonnummer gemerkt, die sie dem Beamten diktiert hat und sie zwei Tage im Kopf behalten, ehe ich den Mut hatte, zum Hörer zu greifen. Als ich sie dann erreicht habe dachte sie, ich sei von der Behörde: Sie hatte mich gar nicht gesehen.

Die beiden trafen sich in ihrem Bezirk in einem Café und verstanden sich nicht nur gut, sondern stellten auch fest, dass sie sich bereits kannten: Ihre Familien waren entfernt miteinander verwandt, die beiden hatten als Kinder auf einem Fest miteinander gespielt. Nach wenigen Monaten heirateten sie und Ahmad Hasan machte sich mit einem kleinen Computer- und Handyreperaturgeschäft selbstständig, in den Sommermonaten arbeitete er weiter als Rettungsschwimmer.

Im Jahr 2014 dann, so erzählt er, gab es für Rettungsschwimmer keine Arbeit mehr, sein Laden wurde zweimal ausgeraubt und auch sonst wurde das Leben in seiner Stadt dem jungen Familienvater zu unsicher. Zuerst brachte er seine Kinder und seine Frau in Sicherheit: Die fünf flohen über die Grenze ins benachbarte Mardin, wo seine Eltern ein Sommerhaus hatten. Er selbst floh ein paar Monate später. Zu Fuß, mit Bussen und Bahnen, über die Türkei, Griechenland, Mazedonien und Serbien bis nach Deutschland. „Auf dem Weg nach Ungarn bin ich von Serbien aus 16 Stunden mit hunderten anderen gelaufen. Nachts in einem Wald ist uns die Polizei mit Suchscheinwerfern, Wasserwerfern und Tränengas gefolgt. Ich dachte schon: Das war's. Da konnten wir sie an einem Fluss abhängen."

In Deutschland wurde er zunächst nach Rostock gebracht: „Damit war ich sehr zufrieden.“ Er hatte gehört, dass es dort mit dem Familiennachzug schneller gehe als in Berlin am LaGeSo. Nach drei Tagen aber wurde er nach Berlin umverteilt. Dort dauerte es ein halbes Jahr, ehe über seinen Asylantrag entschieden wurde und ein weiteres Jahr, ehe er seine Familie nachholen konnte. „Ich wäre beinahe wahnsinnig geworden. Zweimal war ich kurz davor, einen Flug nach Griechenland zu buchen und zu meiner Familie zurückzugehen."

Seit neun Monaten sind seine Frau und seine Kinder jetzt bei ihm. Angekommen aber, sagt er, sind die fünf noch nicht. „Den Kindern geht es nicht so gut. Sie sitzen den ganzen Tag nur aufeinander und lernen keine anderen Kinder kennen. Es ist kalt draußen und meine Frau hat wenig Geld zur Verfügung und weiß nicht, was sie machen soll, damit sie unter andere Menschen kommen." Seit einem halben Jahr bemüht er sich  um Plätze in einer Willkommensklasse für seine Söhne und einen Kitaplatz für seine Tochter: „Ich höre immer dasselbe: 'Kein Platz, keine Chance.'"Auch um seine Eltern macht er sich Sorgen. Er möchte sie gerne auch zu sich holen, weiß aber nicht wie: „Die Kinder vermissen sie sehr und fragen ständig nach Oma und Opa. Sie haben schließlich ein Dreivierteljahr mit ihnen zusammengelebt.“

Gerade hat er übers Jobcenter eine Stellenausschreibung vom 'Tropical Island' erhalten. Er freut sich, bald arbeiten und seine Familie aus eigener Kraft versorgen zu können, hofft aber, dass auch seine Frau eine Möglichkeit findet, sich hier etwas für sich aufzubauen: „Sie hat Agrarwissenschaften studiert und kann sich auch vorstellen, eines Tages zu arbeiten: „Aber erst müssen die Kinder versorgt sein. Ich hoffe, dass wir bald Plätze für sie bekommen."