Foto: Sarah Tobias

Ein Luxus im Vergleich

3. Portrait von Eva-Lena Lörzer

In Syrien war Ziad Kzzool Fußballtrainer. Hier gelten seine Zertifikate nicht. Deswegen ist er glücklich, durch die Ausbildung zum Rettungsschwimmer eine neue Perspektive zu bekommen. Er will in Deutschland bleiben. Seine Kinder gehen hier in die Schule und in den Kindergarten, die Familie hat eine eigene Wohnung gefunden. Langsam kommen sie hier an.

„Neujahr war schlimm“, sagt Ziad Kzzool bei einem Gespräch im Café Alfons mit Blick auf den verschneiten Garten des FEZ. Es ist der 5. Januar und Ziad Kzzool bezieht sich nicht auf die Böller in der Silvesternacht, die sich für ihn anhörten wie die Raketen, mit denen sich die verfeindeten Lager in seiner Heimatstadt in Syrien beschossen, bevor er 2015 mit seiner Frau und seinen drei Kindern die Flucht ergriff.

Ziad Kzzool hat am Silvesterabend seine Tochter verloren. Mit Tränen in den Augen erzählt er die Geschichte: Sie waren in einer großen Gruppe Schlittschuhlaufen gewesen, die Lieblingsbeschäftigung der 6-Jährigen. Seine anderen beiden Kinder, 5 und 9, waren auch dabei. Am Potsdamer Platz wollten sie zu elft in einen vollen Bus zum Alexanderplatz steigen. „Ich dachte, meine Tochter ist hinten“, sagt er. „Als ich gemerkt habe, dass sie weg ist, habe ich eine Panikattacke bekommen.“

Er rührt gedankenverloren in seinem Kaffee. „Zum Glück hat die Polizei sofort eine Fahndung herausgegeben und sie gefunden. Sie war in einem Spielzeugladen in der Nähe der Bushaltestelle, an der wir sie verloren haben. Eine Fremde hat ihr vor Mitleid einen Teddy gekauft.“ Obwohl alles noch einmal gut ausgegangen ist, steht er seitdem unter Schock. Immer wieder geht ihm durch den Kopf, was alles hätte passieren können. Dass er seine Tochter dort in Gefahr bringen konnte, wo sie in Sicherheit sein sollte, lässt ihn nicht los. Unmittelbar nach dem Vorfall bekam er einen Nervenzusammenbruch. Seitdem nimmt er Beruhigungsmittel.

Er ist ein Familienmensch. Während seiner Zeit in der Armee begann der 40-Jährige Fußball zu spielen und machte anschließend zunächst als Profifußballer Karriere, später als Trainer. Seine Priorität aber war immer seine Familie. „Meine Kinder sind mein Leben“, sagt er. Um ihnen ein sicheres Leben zu bieten, so erzählt er, fasste er den Entschluss, sein Land zu verlassen, obwohl es der Familie in Syrien materiell sehr gut ging.

Die Silvestererfahrungen haben bei ihm die Traumata von Krieg und Flucht wieder hochkommen lassen: Zusammen mit seiner Frau und den drei Kindern war er vom türkischen Izmir aus in einem Schlauchboot mit 48 anderen zur griechischen Insel Mytilini geflohen. Als das Schlauchboot, in dem 31 Kinder saßen, wegen Überfüllung zu sinken drohte, wurden alle durchnässt. Die Erwachsenen mussten ins Wasser springen, um das Boot am Kentern zu hindern. Als das Boot nach sieben Stunden am Festland ankam, litten alle an Unterkühlung.

Im Laufe der mehr als zweiwöchigen Flucht zu Fuß und in Bussen wurden seine drei Kinder kränker und kränker. „In Serbien mussten wir auf der Straße übernachten“, erzählt der Familienvater. „Es hat tagelang geregnet und wir hatten nur leichte Decken dabei. Ich habe mir riesige Sorgen um die Kinder gemacht.“ Nach neun Stunden Wartezeit an der serbisch-mazedonischen Grenze durfte die Familie passieren und bekam neben der Durchreiseerlaubnis auch wetterfeste Kleidung und etwas Essen. UN-Mitarbeiter organisierten für sie und circa dreißig weitere Geflüchtete einen Bus bis zur österreichischen Grenze. Von dort aus mussten sie noch ein letztes Mal Laufen: 20 Kilometer bis nach Wien. „Da wurden die Kinder dann ein paar Tage im Krankenhaus versorgt und konnten etwas zu Kräften kommen.“

Von Wien aus wurde die Familie in einen Bus nach Berlin gesetzt und dort gleich nach der Registrierung in einer Notunterkunft untergebracht. „Hier anzukommen war wundervoll“, sagt Ziad Kzzool. „Ich hatte nur das Gefühl: Wir haben es geschafft, wir sind in Sicherheit.“ Der Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz am 19. Dezember hat ihn verstört. „Vor so etwas sind wir geflohen“, sagt er. „Jetzt ist uns der Terror gefolgt.“

Er versucht positiv in die Zukunft zu blicken. Bis auf das Erlebnis an Silvester hat er seit seiner Ankunft nur gute Erfahrungen gemacht. „Die Menschen sind offen, die Ausbildung zum Rettungsschwimmer bietet mir eine Perspektive. Ich habe großen Spaß an dem Training“, erzählt er und fügt hinzu: „Am Anfang hatte ich Bedenken, weil ich im Vergleich zu den anderen nicht so gut schwimmen konnte. Als Trainer weiß ich, wie schwierig es ist, quasi bei null anzufangen. Mittlerweile aber habe ich das Gefühl, es wird: Ich werde immer besser.“

Auch sonst läuft alles gut: Nach mehr als einem Jahr zu elft mit einer anderen Familie in einem winzigen Zimmer in einer Notunterkunft hat vor Ziad Kzzool vor Kurzem eine eigene Wohnung für sich und seine Familie gefunden. „Zwei Zimmer, nur für uns. Ein Luxus im Vergleich.“ Seine Familie fühlt sich hier wohl. Die Jüngste geht in den Kindergarten, die zwei älteren Kinder, ein Junge und ein Mädchen, besuchen eine Willkommensklasse. „Die drei sprechen schon viel mehr Deutsch als ich“, sagt er lächelnd. „Zeit, dass ich aufhole.“